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IM SPIEGEL DER THEOLOGIE
Nach diesen Darlegungen des Lehramtes fragt man sich unwillkürlich,
warum die Gottesgelehrten noch nicht zu einer klaren Haltung gekommen sind. Der
letzte mariologische Kongress, der der dritte während des Pontifikates Pius'
XII. war (1950—1954—1958), zeigte die Unterschiedlichkeit der Auffassungen
in einer verwirrenden Weise, so, dass vieles sich so ungeklärt und verworren präsentierte,
dass Pius XII. sich diesem Eindruck nicht entziehen konnte und darum eine
abwartende Haltung annahm, ehe er daran denken konnte, eine lehramtliche
Entscheidung zu geben1.
Im Grunde lassen sich alle Meinungen auf zwei Grundauffassungen zurückführen:
Die christotypische und ekklesiotypische.
Die christotypische geht von dem Amte Mariens als Braut des Logos, als
Gefährtin Christi bei seinem Erlösungswerke, als Stammmutter des neuen
Geschlechtes, des mystischen Leibes aus.
Die ekklesiotypische sieht Maria ganz als Glied des mystischen Leibes,
wenn sie auch das vornehmste ist und an Würde alle überragt. Sie steht ganz in
der Sicht der Erlösung, die sich auch auf sie erstreckt.
Die Mutterschaft Mariens wird von der einen Gruppe vor allem als die Form
der Brautschaft Mariens gedeutet, von der anderen als das Symbol, wie die Kirche
das göttliche Wort empfängt, es austrägt und zur Ausreifung bringt. Diese
Mutterschaft besagt Vereinigung mit Christus, Auftrag Christi mit der Vollmacht,
die empfangenen Gnaden anderen, also den anderen Gliedern des mystischen Leibes,
mitzuteilen.
Wenn wir es einmal scharf gegenüberstellen wollen, so können wir sagen,
die christotypische Sicht stellt Maria auf die Seite Christi als seine Gehilfin,
Braut, Gefährtin — als die neue Eva, die neue Stammmutter des
mystischen Leibes Christi und der ganzen Menschheit. Die ekklesiotypische
Sicht reiht Maria in die Schar der Erlösten gegenüber Christus, dem Erlöser,
ein, so, dass sie sein Werk im Namen der Kirche entgegennimmt.
Mit dieser Verschiedenheit der Betrachtungsweise hängt auch die Gegenüberstellung
der Teilnahme Mariens in subjektivem und objektivem Sinne zusammen. War die
Mitwirkung Mariens am Erlösungswerk so notwendig, dass ohne sie keine Erlösung
vollzogen wurde, dann wäre der Anteil Mariens zur Sache notwendig, also
objektiv gefordert. War dagegen Mariens Mitwirkung für die Erlösungstat nicht
erforderlich, so, dass sie sich nur auf das Empfangen der Erlösungsgnaden und
die Erweckung und Schaffung der zum Empfang geforderten Disposition erstreckte,
dann war Mariens Anteil nur subjektiv bedingt. Zur Klärung oder zur
Harmonisierung dieser gegensätzlichen Auffassung haben die Theologen die
verschiedensten Deutungen von objektiv und subjektiv vorgenommen, so, dass der
Eindruck Pius' XII. wirklich berechtigt war, dass alles verwirrend und ungeklärt
— wenigstens in den Kreisen der Theologen — war.
In Wirklichkeit müssen wir hinsichtlich dieser Gegenüberstellungen der
Auffassung eines kanadischen Theologen beipflichten, dass weder die eine noch
die andere Betrachtungsweise die ganze Wirklichkeit erfasst. Maria gehört
beiden Wirklichkeiten an: Der christusbezogenen, so, dass sie mit dem göttlichen
Wort in einer Art geistlicher Ehe lebt — also die personale Vertreterin der
Menschheit, wie Thomas von Aquin, Leo XIII. und Pius XII. es ausführlich
darlegen —, der kirchenbezogenen, so, dass sie als Glied des mystischen Leibes
selbst erlöst wurde und dann für alle anderen Glieder die Gnaden empfängt —
also Symbol der Kirche als des mystischen Leibes und Hauptglied dieses Leibes,
das die Gnaden zwischen Christus und Kirche, Haupt und Leib vermittelt, wie
besonders Pius X. im Anschluss an Bernhardin von Siena und die anderen
Mariologen vor allem des siebzehnten Jahrhunderts — unter ihnen an erster
Stelle Grignion von Montfort — darlegt und Pius XII. sie als das Band des
mystischen Leibes bezeichnet. In den lehramtlichen Äußerungen haben also beide
Auffassungen ein volles Gewicht.
Die Grundformel der drei zitierten Päpste — Leo XIII., Pius X. und
Pius XII. — ist die der Lebens-, Leidens- und Aufgabengemeinschaft, so, dass
also das "Wort Pius' X. von der Einheit, in der die Menschwerdung und Erlösung
durch die personale Einheit von Mutter und Kind, von Christus und Maria gesehen
und bestimmt wurde, für die lehramtliche Auffassung maßgebend wurde: Der Akt
der Erlösung ist, obwohl in der Komponente Christi als des eigentlichen, streng
rechtlich verdienenden Faktors und in der Komponente Mariens als des nur nach Maßgabe
der Billigkeit teilnehmenden Faktors, nach dem Willen Gottes ein unauflöslicher,
in Wirklichkeit gemeinsam wirkender. Darum ist die allgemein angenommene
Wesensbestimmung der universalen Mittlerschaft Mariens folgende: Die Mithilfe
Mariens ist eine Miterlösung im eigentlichen Sinne, — und zwar im ersten Akt
— eine formale, die die Wirkung beeinflusst, um etwas Besseres
hervorzubringen, jedoch nicht aus sich notwendig, sondern nur in Abhängigkeit
vom Erlöser. Ihre Vermittlung ist nicht, wie wir sie bei den Sakramenten haben,
eine physische, sondern eine moralische, da Maria nicht wie der Priester in der
Ordnung der sakramentalen Vermittlung der heiligmachenden Gnade steht. Aber ihre
universelle Mittlerschaft in der Austeilung der Gnade ist unbezweifelt. Darum
wendet sich die Kirche, Hierarchie wie Volk, an die Gottesmutter um Schutz und
Hilfe.
Wie die Stellung Mariens in Wirklichkeit ist, das ist das Problem, mit
dem sich die Fachtheologie auseinandersetzt. Doch unseres Erachtens scheint eine
Meinung, die auf dem mariologischen Kongress zu Lourdes geäußert wurde, einer
Betrachtung wert zu sein. Maria ist nicht exklusiv einzureihen weder in die
christotypische noch in die ekklesiotypische Gruppe, wie wir schon gesehen
haben, aber ebenso wenig kann man sagen, dass sie ohne weiteres in die Gruppe des
allgemeinen Priestertums eingestuft werden kann, wie sie ja auch nicht
zum sakramentalen Priestertum gehört. Vielmehr müssen wir die Worte der Päpste,
Leos XIII., Pius' X. und Pius' XII., in ihrer ganzen Tiefe erfassen, wenn
dargelegt wurde, dass Maria im Namen der ganzen Menschheit ihren Sohn dem
himmlischen Vater darbrachte — offenbar ist dies ein priesterlicher Akt.
Ebenso wenig können wir ihren Rechtsanspruch als nur Billigkeitsanspruch
bezeichnen, da Pius X. von einem sozusagen mütterlichen Recht spricht.
Selbstverständlich ist es kein strenger Rechtsanspruch, wie Christus ihn
aufweist. Aber wir stehen bei Maria vor dem schwierigen Problem ihrer
Einordnung. Thomas von Aquin (S. th. III, c. 30, 2, 1) weist ihr eine eigene
Ordnung zu, die ausschließlich für sie gilt. Die Theologen, vor allem
Scheeben, sprechen von der Anteilnahme an der hypostatischen Ordnung, das heißt
an der durch die Verbindung von Gottheit und Menschheit durch die Person des göttlichen
Wortes bestimmten und abgegrenzten Ordnung, in die Maria als Gottesmutter
hineingenommen wurde, so, dass sie mit Christus in einer solchen Verbindung
steht, die sie wesentlich und grundsätzlich zur leiblichen Mutter Jesu, mit
Bezug auf uns aber zur geistigen und mystischen. Darum weist Thomas von Aquin
und nach ihm Leo XIII. und Pius XII. darauf hin, dass Maria über eine fast
unbegrenzte Macht verfügt. Das Geheimnis wird einsichtiger, wenn man an die
innige Vereinigung denkt, die Christus und Maria bis zur Stunde zu einer
unaufhebbaren Einheit verbindet, die selbst noch verschieden ist von der des
heiligen Paulus, der von sich zu sagen wusste, dass nicht mehr er lebe, sondern
Christus in ihm. Es wird durch die Bildsprache von Pius XII. und Pius X.
angedeutet, wenn sie erklären, wir müssten Jesus aus den Händen Mariens
empfangen. Diese Stellung Mariens besagt keineswegs eine Verwischung der geschöpflichen
Grenzen. Sie ist und bleibt im geschöpflichen Rahmen. Aber diese Auserwählung,
die wirklich eine Heraushebung Mariens aus der Ordnung der übrigen, ja der
gesamten Schöpfung ist, entsprang einem eindeutigen Willensentschluss Gottes,
nie fußend auf einem Verdienst, stets beruhend auf dem Fundament des Glaubens.
Sie ist in der Tat eine Ordnung für sich. Darum kann ihr Wirken nur in
Bildern und Taten ausgedrückt werden. Sie reicht das göttliche Kind mit der
Universalität seiner Sendung und Würde als König, Prophet und Priester den
Vertretern des Juden- und Heidenlandes, sie trägt ihr Kind zu Elisabeth und
vermittelt das Wunder der Gnade, sie bittet für die Brautleute in Kana und
vermittelt das Wunder der Natur, um mit Leo XIII. zu sprechen, das Wunder des
Glaubens, um mit Pius X. und Pius XII. zu verdeutlichen, da seine Jünger durch
dieses Wunder an ihn glaubten. Sie bittet für die Mörder Christi, um ihnen
Verzeihung zu erflehen. Sie schenkt den Leib Christi bei der Geburt, den Geist
Christi beim Pfingstfest, wie Leo XIII. schon andeutete und Pius XII. eindeutig
feststellte. Als Königin übernimmt sie die Führung im Kampf gegen die
Schlange und den Drachen in der unermüdlichen Sorge für den Triumph des
Gottesreiches. Das ist der Höhepunkt ihres vermittelnden Wirkens, dass sie
unablässig als Königin neben dem König fürbittend steht, wie der Sohn zur
Rechten des Vaters steht und Fürbitte für uns einlegt. Pius XII. wie Pius X.
und Leo XIII. vereinigten darum all ihre Bitten mit denen Mariens, um Gott
wohlgefälliger und in ihrem Bitten wirksamer zu werden. Was ist aber der
tiefste Grund für das Ringen der Theologie um die befriedigende Klarheit? Wurde
doch mit Recht gesagt, dass die lehramtliche Auffassung bereits klar vor uns
liegt, dass dagegen die theologische auf weitem Abstand folgt. Das ist ein Verhängnis.
So war es auch bei der theologischen Beurteilung der Dogmatisierung der
Himmelfahrt Mariens, der eine seltsame Diskrepanz zwischen lehramtlicher Verkündigung
und theologischer Wissenschaft vorherging. Im Grunde geht es um den Schrift- und
Traditionsbeweis. Wie können wir die Mittlerschaft und Miterlösung Mariens aus
der Heiligen Schrift beweisen? Bekennt man sich eindeutig zu der rein
geschichtlichen Auslegung, dann entstehen Schwierigkeiten bezüglich der
lehramtlichen Auslegung und Deutung der Frau des Paradieses und der sternenbekränzten
Sonnenfrau der Apokalypse. Lässt man den sogenannten typischen Sinn zu seinem
Recht kommen, dann schwindet der Abstand zwischen der lehramtlichen und
theologischen Auffassung. Den wirklichen Schriftsinn erfasst das Lehramt in
seiner Glaubensverkündigung und seiner Eigenschaft als Bewahrerin und
Auslegerin der Offenbarung. Die Schwierigkeiten, die sich in der Kontroverse mit
der protestantischen Bibelauslegung ergeben, werden stets auf diesen
Trennungsstrich stoßen. Was von der Schriftauslegung gesagt wurde, gilt ebenso
von der Auslegung, die wir bei den Vätern finden, und bei deren marianischen
Darlegungen. Das ist die Aufgabe der Kirche, in der Tradition den Weg
aufzuzeigen, wer Traditionsträger ist und welche Äußerungen als
Traditionszeugnisse zu werten sind.
Vor allem glauben die deutschen Theologen auf die Schwierigkeiten der
Nichtkatholiken Rücksicht nehmen zu müssen. Darum setzten sie der Petition um
die Dogmatisierung der Mittlerschaft Mariens einen entschiedenen Widerstand
entgegen. Doch andere Theologen, vor allem die romanischen, die sich ohne
besondere Belastungen des protestantischen Volksteiles entfalten können, waren
anderer Ansicht, wie deutlich die Ansprache des Dekans des Kardinalkollegiums
und Kardinallegaten E. Tisserant auf dem marianischen Kongress in Lourdes
zeigte. Ebenso war die Ansprache Pius' XII. ganz in der traditionellen
Auffassung der fürbittenden Macht Mariens gehalten, so, dass er zwar den
Ausdruck nicht nahm, aber wohl die Sache darlegte.
Warum nicht den Ausdruck? Die einfachste Lösung ist, wie bereits
angedeutet, die, dass nämlich unter dem Ausdruck «Mediatrix» und «Corredemptrix»
die widersprechendsten Deutungen möglich waren. Den Grund für viele
Fehldeutungen hat bereits K. Rahner aufgedeckt. Die lateinische Sprache ist eine
tote, so, dass wir für alle Formulierungen von der Muttersprache auf die
lateinische, tote, zurückgreifen müssen. Dogmatisch formulierte Aussagen mit
einem ganz fest umgrenzten Sinn übertragen wir in unserer Übersetzungsnot auf
einen anderen Sachverhalt, sind aber infolgedessen zu Umschreibungen mit
Attributen gezwungen. Redemptor, Mediator, sind auf Christus zugeschnittene
Formulierungen. Um sie auf Maria anzuwenden, müssen wir entweder zu einer
Vorsilbe «co», also coredemptrix oder zu einer Änderung der Endsilbe «Mediator-Mediatrix»
greifen. Das befriedigt nicht und schafft Missverständnisse. Darum hat Pius
XII. mit Vorliebe Gefährtin, Fürbitterin, Patronin, Schützerin oder die
traditionellen Anrufungen Mutter der Barmherzigkeit, unsere Königin, unser
Leben, unsere Hoffnung, unsere Süßigkeit, Helferin der Christen, Mutter der göttlichen
Gnade u. a. genommen. Der Sache nach bedeutete das keine Abschwächung, sondern
nur eine Klärung der inhaltlichen Aussagen.
Durch Benedikt XV. wurde auf Bitten vieler Bischöfe, besonders der
belgischen, das Fest Maria Mittlerin aller Gnaden eingeführt, das am 31. Mai
von denen gefeiert wurde, die darum ersuchten. Pius XII. hat allerdings an
Stelle dieses Festes das Fest «Maria, Königin der Welt» angesetzt. Sollte das
eine Stellungnahme gegen die Mediatrixgedanken sein? Im Gegenteil. Wie die
Enzyklika «Ad caeli Reginam» es ausführlich darlegt (s.o.), handelt es sich
um die höchste Anerkennung der vermittelnden Macht Mariens, so, dass dieses
Fest als die Vollendung und letzte Überhöhung des Mediatrixgedankens dasteht.
Da das Kernwort der Mediatrix aus dem Wortschatz des heiligen Bernhard von
Clairvaux genommen ist, nämlich, dass Gott will, dass uns alle Gnaden durch
Maria gespendet werden, hat es den Anschein, als ob Pius XII. anlässlich des
achthundertjährigen Gedenkens des Todes dieses Heiligen uns die praktische
Lehre aus der Anerkennung der Mediatrix deutlich vor Augen stellen wollte: «Es
scheint uns, dass Wir diese Enzyklika nicht besser beendigen können, als indem
Wir alle mit den Worten des Doctor Mellifluus auffordern, täglich die Verehrung
der hohen Gottesmutter zu steigern und mit größtem Eifer ihren außerordentlichen
Tugenden nachzustreben, jeder gemäß den besonderen Umstanden seines Lebens.
Wenn im zwölften Jahrhundert schwere Gefahren die Kirche und die Menschheit
bedrohten, so bedrohen zweifellos nicht geringere unsere Zeit... Wie also der
Lehrer von Clairvaux für seine verworrene Zeit die Hilfe der allerseligsten
Jungfrau erflehte und erhielt, so sollen auch wir alle mit der gleichen Beständigkeit
im Gebet von unserer himmlischen Mutter erflehen, dass sie für diese schweren
drohenden oder gefürchteten Gefahren von Gott die geeigneten Heilmittel erhalte
und gewähre, damit mit der gütigen und mächtigen Hilfe Gottes endlich der
Kirche, den Völkern und den Nationen ein aufrichtiger, fester und fruchtbarer
Friede geschenkt werde.»
Auch nach dem Tode Pius' XII. wollte die Diskussion über die Frage der
Mittlerschaft Mariens nicht schweigen. Vor allem, als das Zweite Vatikanische
Konzil einberufen wurde, dachten viele an eine dogmatische Klärung, sogar
Definierung. Wie aber die Ausführungen über den Konzilstext zeigten, wurde
gerade dieser Titel Gegenstand lebhaftester Auseinandersetzungen. Das Konzil
wich auf einen andren — längst akzeptierten Titel aus: Mutter Gottes,
erweiterte ihn dann gemäß dem Rahmenthema durch die Bezeichnung Mariens als
Mutter der Kirche und aller Menschen. Jedoch stellte es sich dankenswerterweise
während der Untersuchung die Frage, was unter Mittlerschaft im Heilswerk zu
verstehen sei. In dem Sinne der vom Konzil dargelegten Erklärung der
Mittlerschaft bedeutete Maria Mittlerin nur die in Maria sich entfaltende
Mittlerschaft Christi. Mariens Mittlertätigkeit war also eine Teilnahme an dem
Mittlertum ihres Sohnes.
Damit waren zwei Dinge klargestellt: die unauflösbare Einheit des
Vermittlungsaktes und die Teilnahme Mariens an dieser Einheit durch Teilnahme.
Aber es erhob sich die alte Frage, wie diese Teilnahme beschaffen sein
sollte. War sie rein empfangend, also passiv — oder war sie aktiv, wenn auch
verbunden mit der Haltung des Empfangens?
Im Grunde brach wieder der Streit auf, ob Mariens Teilnahme objektiv,
also Teil des objektiven Erlösungsaktes sei — oder subjektiv, d. h.
empfangend, also nur, dass sie sich das objektive Heilswerk aneigne.
In beiden Fällen stand eines fest: Maria vertritt nicht die Menschheit.
Diese wird ausschließlich durch die menschliche Natur Christi repräsentiert.
Somit übernahm Maria keine kollektive Aufgabe, sondern wurde von Gott rein
individuell angesprochen. Was sie von uns unterscheidet, ist nur die Tatsache,
dass wir uns das Erlösungswerk durch den Glauben und die Sakramente im Rahmen
der Kirche aneignen, Maria dagegen das Heilswerk, den Erlöser also und die Erlösung,
erst durch ihre Glaubenszustimmung ermöglichte, dann sich aneignete und
weiterleitete. Dadurch wirkte sie subjektiv an dem objektiven Heilswerk mit,
zugleich wurde sie in das objektive Heilswerk einbezogen.
Die Konzilstexte scheinen sich weithin dieser Auffassung anzuschließen.
Doch anderseits betonen sie stärker als diese theologische Meinung die Einheit
zwischen Christus und seiner Mutter, die sich in einer Wirkeinheit entfaltet.
Die andere theologische Gruppe sieht Maria als Stellvertreterin der
Menschheit mit einem eigenen Wirkauftrag. Es ist zwischen Christus und seiner
Mutter ein gleichsam partnerschaftliches Verhältnis, das sich in einem Bund
gleichberechtigter Partner darstellt — oder wie eine Ehe, wie der Epheserbrief
sie beschreibt: «Der Mann ist das Haupt der Frau wie Christus das Haupt der
Kirche ist, er, der Erlöser seines Leibes. Wie die Kirche Christus untenan ist,
so seien es auch die Frauen ihren Männern.» (Eph 5, 23, 24) Nach diesem
biblischen Bild ist die Unterordnung Mariens gewahrt und doch ihre personale
Einheit im Sinne der Partnerschaft im gemeinsamen Werk nicht eingeschränkt.
Selbstverständlich begegnet diese Auffassung großen Schwierigkeiten:
einerseits ist es die Frage nach der wirklichen Einheit, andererseits nach der
Einzigkeit Christi als Erlöser, da Maria auch unter die Erlösung fällt. Doch
Paul VI. scheint den Gesichtspunkt der Partnerschaft, wenn auch in einem
eingeschränkten Sinne, mit in Betracht zu ziehen. Denn er sieht die Einheit
Mariens mit Christus in ihrer Aufgabe als Ergänzung, Gefährtin, Gehilfin begründet.
So, wie der Stand der theologischen Diskussion über Marias Mitwirken am
Erlösungswerk zeigt, kann die Tatsache von Marias Mitwirken nicht geleugnet
werden. Nur über das Wie gibt es verschiedene Auffassungen. Doch die wachsende
Anzahl derer, die sie mit guten Gründen vertreten, und, was noch wichtiger ist,
die Sympathie für diese Lehre von Seiten des Lehramtes — nicht allein in den
Verlautbarungen der frühern Päpste, sondern auch Pauls VI. — deuten klar in
die Richtung einer spätem Dogmatisierung.
Ergreifend ist die Bitte des Konzils an die Gläubigen, die es im Schutze
der mächtigen Fürbitte Mariens sehen möchte — ein Zeichen, wie sehr es Wert
auf die Anerkennung der mütterlichen Mitwirkung Mariens am Heilswerk und seiner
fruchtbaren Entfaltung legt: «Alle Christgläubigen mögen inständig zur
Mutter Gottes und Mutter aller Menschen flehen, dass sie, die den Anfängen der
Kirche mit ihren Gebeten zur Seite stand, auch jetzt im Himmel über alle
Seligen und Engel erhöht, in Gemeinschaft mit allen Heiligen bei ihrem Sohn Fürbitte
einlege, bis alle Völkerfamilien, mögen sie den christlichen Ehrennamen tragen
oder ihren Erlöser noch nicht kennen, in Friede und Eintracht glückselig zum
einen Gottesvolk versammelt werden, zur Ehre der heiligsten und ungeteilten
Dreifaltigkeit.» (69) Ebenso schließt Paul VI. sein apostolisches Schreiben «Das
Große Zeichen»: «Wir halten es für gegeben, dass die glorreiche Königin des
Himmels und der Erde, unsere gütige Mutter, ohne Unterlass ihren geistigen
Kindern beistehen wird. Vom Himmel her wird sie ohne Unterlass die ganze Kirche
beschützen.» (26)
1
Vergl. Herderkorrespondenz, Jahrg. XIII,
Heft 3, S. 134 ff. — Kölner
Pastoralblatt, Jahrg. 11, Heft 4, S. 108 (v. H. M. Köster). — Anzeiger für
die katholische Geistlichkeit, Jahrg. 68, Nr. 1, 2, 3 (v. K. Schwerdt).
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