Kaplan Markus Hofmann (jetzt Direktor des Priesterseminars Albertinum in Bonn) erinnert sich
Ein
Priester nach dem Herzen Jesu
Meine Erinnerungen an P.
DDr. Hubert Pauels reichen zurück bis ins Jahr 1978. In diesem Jahr begleitete
er zum ersten Mal als geistlicher Leiter eine Pilgerfahrt, die mit dem Bus von
Köln über Nevers, Ars, Lourdes, San Sebastian und Salamanca nach Fatima führte.
Ich war damals zehn Jahre jung und das zweite Mal dabei.
Später nahm ich an noch
zehn weiteren Wallfahrten dieser Art unter seiner geistlichen Leitung teil und
war darüber hinaus mit ihm auch auf Pilgerreisen in Italien (Padua, Loreto,
Assisi, San Giovanni Rotondo, Rom, San Damiano, Montichiari, Flüeli) und im
heiligen Land.
P. Pauels, wie wir Pilger
ihn gewöhnlich nannten, zählte 1978 immerhin schon 71 Jahre, aber er wirkte
dabei keineswegs alt. Seine Stimme war fest, sein Blick klar und lebendig, und
er selbst bezeichnete sich als in der zweiten Jugend stehend. Dies demonstrierte
er, wenn er regelmäßig älteren Pilgern (die z.T. an Jahren noch jünger waren als
er selbst) das Gepäck abnahm und ins Quartier trug.
Dabei war ihm jede
Anbiederei zutiefst fremd. Er strahlte zugleich echte und natürliche Demut sowie
ehrfurchtgebietende Würde aus. Ich habe z.B. nie gesehen, dass jemand versucht
hätte, P. Pauels jovial gegenüberzutreten. Er trug auf den Pilgerfahrten stets
einen einfachen schwarzen Anzug über seiner Priesterweste und hatte sein
gesamtes Gepäck für 18 Tage in einer Aktentasche. Er sprach nicht gern über
sich, ja er vermied es offensichtlich, in Gesprächen oder bei Vorträgen von sich
selbst zu reden. Wenn er nicht angesprochen wurde, wirkte er eher ruhig, und wer
ihn beobachtete spürte unwillkürlich, dass er ein Mensch großer Innerlichkeit
war.
Dabei konnte er sehr
lebendig sprechen und seine Zuhörer auch über mehr als eine Stunde faszinieren,
wenn er etwa die Zusammenhänge zwischen Politik und Kirchengeschichte,
insbesondere im Blick auf den Papst, darlegte und dabei sein reiches Wissen in
brillanter Weise aufscheinen ließ.
Seine besondere
Aufmerksamkeit galt den etwa zehn Kindern und Jugendlichen, die an der Wallfahrt
teilnahmen. Immer wieder bezog er „unsere Jugend“ in Predigten und Vorträgen mit
ein, indem er einzelne direkt ansprach oder in lobender Weise erwähnte; er
versuchte möglichst während der ersten Tage ihre Namen und die der Teilnehmer zu
erlernen.
Manchmal fragte er mich
auf späteren Fahrten vor der Abfahrt oder während einer der ersten Pausen nach
dem Namen eines bestimmten Pilgers, um ihn persönlich ansprechen zu können. Am
tiefsten und nachhaltigsten hat mich die Art und Weise beeindruckt, in der P.
Pauels die hl. Messe feierte. Auf den Wallfahrten und bei vielen nächtlichen
Anbetungen im Kölner Raum ministrierte ich ihm dabei. Die tägliche Zelebration
war für ihn selbstverständlich. Ob am frühen Morgen, in heißen Mittagsstunden
oder am späten Abend (einmal hatte der Bus einen Motorschaden, und wir konnten
erst gegen Mitternacht die hl. Messe feiern), immer war P. Pauels in gleicher
Weise gesammelt und konzentriert. Sobald wir eine Kirche oder Kapelle betraten,
in der die hl. Messe stattfinden sollte, schien es mir, als ziehe es P. Pauels
zum Altar: er hatte es irgendwie eilig, in die Sakristei zu kommen, die Gewänder
anzulegen und zu beginnen. Sobald er aber das Kreuzzeichen zur Eröffnung gemacht
hatte, fiel alle Eile von ihm ab. Würdig und zugleich natürlich, andächtig aber
ohne auch nur den Hauch einer Selbstinszenierung pflegte P. Pauels zu
zelebrieren. Er hielt sich an die liturgische Ordnung und zeigte vor dem
Allerheiligsten große Ehrfurcht, wenn er z.B. auch noch als 80-jähriger die
Kniebeuge so machte, dass er den Boden berührte. Ob er an einem Werktag oder an
einem Hochfest die Liturgie feierte, ob es in der schlichten Kapelle eines
Klosters war oder in St. Peter in Rom, ob er allein zelebrierte oder mit
Hunderten von Konzelebranten in Fatima, ob wir ausgeruht aus einem guten Hotel
kamen oder müde und erschöpft von einer langen Busfahrt, es gab äußerlich keine
erkennbaren Unterschiede in seiner Haltung als Priester.
Nichts schien ihn während
der hl. Messe aus der Ruhe bringen zu können. Ruhig und deutlich sprach er die
Gebete, auch wenn Touristen in unmittelbarer Nähe Lärm machten oder ein Küster
ungeduldig auf das Ende der Messfeier wartete.
Auch am Tag seines
goldenen Priesterjubiläums, das er mit unserer Pilgergruppe 1982 in Ars beging,
war er derselbe wie immer: gesammelt und verinnerlicht.
Er erinnerte mich dabei
sehr an die Art und Weise, wie Papst Johannes Paul II. die hl. Messe feiert: man
spürt als Teilnehmer, dass der Zelebrant innerlich in steter Zwiesprache mit
Jesus steht.
Aus den Predigten und
Vorträgen, in denen die hohe theologische, geschichtliche, philosophische und
politische Bildung von P. Pauels in ihrer unauflöslichen Verbindung mit seiner
tiefen Frömmigkeit aufleuchteten, sind mir eine Reihe von Themen bzw.
Schwerpunkten in Erinnerung geblieben, auf welche die Verkündigung dieses Sohnes
des hl. Franz von Sales immer wieder zurückkam: das Vertrauen auf die
Barmherzigkeit Gottes, wie sie vor allem in der Herz-Jesu-Verehrung Ausdruck
findet, die Verehrung Mariens als Mutter und mächtigste Fürsprecherin der
Christenheit und das Papsttum in seiner Bedeutung für die Einheit der Kirche und
den Frieden in der Welt.
Abgesehen von der
Gottesmutter, deren besonderer Verehrer er war, gibt es eine Reihe von Heiligen,
deren Lebensgeschichte und Spiritualität häufiger in seinen Ausführungen
auftauchten; dazu zählen neben seinem Ordensvater Franz von Sales und der mit
ihm in geistlicher Freundschaft verbundenen Johanna Franziska von Chantal, die
hl. Theresia von Avila und der hl. Johannes vom Kreuz, die hl. Theresia von
Lisieux, die hl. Maria Margareta Alacoque und der hl. Charles de Foucauld.
Charakteristisch für P. Pauels war sein Bemühen, den Zuhörern stets Hoffnung zu
vermitteln. Seine Gedanken hatten nie einen resignativen oder pessimistischen
Zug, sondern immer suchte er nach dem Positiven, nach Silberstreifen am
Horizont, nach mutmachenden Zeichen der Zeit, ohne deswegen naiv auf eine „heile
Welt“ zu schauen. Er nannte Missstände in der Kirche oder gesellschaftliche
Bedrohungen durchaus beim Namen und scheute sich nicht, eindeutig Stellung zu
beziehen. Niemand konnte im Zweifel sein, dass P. Pauels stets die Lehre der
katholischen Kirche ohne Abstriche oder faule Kompromisse verkündete. Dabei
vermied er alle Polemik und auch jede Form von Ironie. Ich kann mich an keine
Predigt oder Ansprache von ihm erinnern, in der er jemanden persönlich
angegriffen hätte.
P. Pauels war ein
Priester, bei dem man spürte, dass sich hohe theologische Bildung, tiefe
Frömmigkeit und herzliche Zuwendung zu jedem einzelnen, dem er begegnete,
vereinten. Wer bei ihm beichtete, der konnte dies besonders intensiv erfahren.
Er fand in ihm einen Priester, der wirklich als guter Hirte und Arzt der Seele
tätig war.
Die Barmherzigkeit Gottes,
die er in seiner Verkündigung immer wieder betonte, ließ er im Bußsakrament
lebendige Erfahrung werden. Wahrscheinlich war dies ein Hauptgrund, dass sich
z.B. in den Sühnenächten vor dem Ort, wo er Beichte hörte, regelmäßig lange
Schlangen bildeten.
Eine Geschichte, die P.
Pauels gerne über die hl. Beichte erzählte, ist mir besonders in Erinnerung
geblieben: Ein Matrose lag auf seinem Sterbebett und beichtete dem
herbeigeeilten Priester seine Sünden, die u.a. sein ausschweifendes Leben in
zahlreichen Häfen der Welt betrafen. Er nannte sie ehrlich, fügte aber hinzu,
dass er nicht sagen könne, sie täten ihm wirklich leid. Er empfinde eigentlich
keine echte Reue, denn auch im Rückblick könne er nicht sagen, dies alles sei
nicht schön gewesen. Darauf fragte ihn der Priester: „Tut es dir denn leid, dass
es dir nicht leid tut?“ „Das schon!“ erwiderte der Seemann. Da gab ihm der
Priester ohne zu zögern die Lossprechung.
Mit solchen und ähnlichen
Begebenheiten veranschaulichte P. Pauels in eingängiger Weise wichtige
Zusammenhänge des Glaubens und machte vielen Menschen Mut, auch nach Fehltritten
und Versagen das Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes nicht zu verlieren bzw.
wiederzufinden.
Im Haus meiner Eltern,
leitete P. Pauels viele Jahre lang ein Zönakel (ein monatlich stattfindendes
Gebetstreffen), in dessen Verlauf u.a. der Rosenkranz gebetet wurde. Zur
Einleitung der einzelnen Gesätze hielt er jeweils eine kurze Betrachtung. Dabei
erwähnte er gerne aktuelle Fragen, die brieflich von Ratsuchenden an ihn
herangetragen wurden. Er verstand es auf diese Weise, die Beter auf einen
Zusammenhang zwischen dem Rosenkranzgeheimnis und konkreten Lebensfragen
aufmerksam zu machen und bezog gleichzeitig die Anliegen derer, die sich an ihn
gewandt hatten, mit in das Gebet der Gemeinschaft ein. Im Laufe der Jahre wurde
mir dadurch auch immer deutlicher, wie groß die Korrespondenz war, die P. Pauels
unterhielt. Bestätigt wurde dies durch Bemerkungen zahlreicher Menschen, die
davon erzählten, brieflich mit ihm in Kontakt zu stehen.
Er war ein gefragter
Ratgeber und hat vielen jungen Menschen bei der Klärung ihrer Berufung zur Ehe,
zum Priestertum oder zum Ordensleben geholfen. Allein in meinem Weihekurs weiß
ich von vier Priestern, die durch regelmäßigen Kontakt mit P. Pauels auf ihrem
Berufungsweg entscheidend vorangekommen sind.
Auch mir hat er durch
seinen persönlichen Rat sehr geholfen. Noch mehr verdanke ich ihm aber durch
sein priesterliches Vorbild und Beispiel, das er in all den Jahren gab. In ihm
sehe ich die Bitte erfüllt, die in dem alten Stoßgebet zum Ausdruck kommt:
Jesu, mitis et humilis corde, fac cor meum secundum Cor tuum - Jesus, sanftmütig
und demütig von Herzen,
bilde mein Herz nach deinem Herzen!
|