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Dein Wille geschehe
Der
betende Mensch
Wir leben in einer Zeit der radikalen Gegensätze. Einerseits zeigen
die Statistiken der einzelnen Städte und Länder ein beinahe unaufhaltsames
Abgleiten unserer weltanschaulich, vor allem durch die Kirche erfassten Gruppen
und Schichten in religiöse Gleichgültigkeit, sodass wir nur noch geringe Empfänglichkeit
für das Wirken der Gnade erkennen können. Andererseits bildet sich Gott ganz
auffallend stark eine kleine Herde. Die ebenfalls täglich wächst und eines
Tages jene unübersehbare Schar zu werden verspricht, die vom Seherblick des hl.
Johannes in seiner geheimen Offenbarung bereits geschaut wurde und die das
Antlitz aller Völker selbst verwandelt. Jene kleine Herde findet sich in der
Katakombenverborgenheit der nächtlichen Anbetung und in den Morgenstunden des
eucharistischen Opfers, aber auch in den Werkpausen der Groß- und
Kleinbetriebe, in den Stunden harter Schulungsarbeit kleiner Zirkel, stets
jedoch trifft sie sich an den Stätten sozialer Hilfsbereitschaft und beim
entsagenden Dienst im Kreise der eigenen Familie und in dem Kreis der Einsamen
und Vergessenen.
Menschen
der Gnade
Die
zu dieser kleinen Herde gehören, sind gesiegelt mit einer ganz seltsamen,
starken Geistesgabe, von der bereits der göttliche Meister mit solchem Jubel
gesprochen: Jene Menschen schauen tief in die Geheimnisse des Gottesreiches,
selbst in die Geheimnisse des dreifaltigen Gottes. Sie tragen etwas in sich von
dem großen Geistererlebnis des hl. Paulus, der seinen Römern jenes viel
beachtete Wort schrieb: „Der Geist bringt es unserem Geiste zum Bewusstsein,
dass wir Kinder Gottes sind.“ Sie fühlen in sich einen unwiderstehlichen
Drang, stets tieferin die
Erkenntnis des göttlichen Herzens einzudringen, um ganz mit der Fülle seines
Lebens undLeidens, seines Hoffens
und Handelns erfüllt zu werden.
Wie
oft bin ich jenen Menschen begegnet, gerade dort, wo ich nur erdgebundene Wesen
zu sehen glaubte. Auf der Straße, im Betriebsraum und auf dem Kontor, aber auch
in der Schule und im Atelier junger Künstler, sogar – und das nicht selten
– im Schützenloch und im Gefangenenlager. Sie alle hatten jenen seltsamen
Drang nach den Geheimnissen der Gnade, die stärker zu ziehen schien als der stärkste
Magnet. Als ich jene sah, verstand ich etwas von dem idealen Pauluswort, das aus
seinem römischen Gefängnis nach vierjähriger Haft seiner Lieblingsgemeinde
Philippi geschrieben wurde: „Christus ist mein Leben, Sterben mir Gewinn –
ich erachte alles für Verlust gegenüber der alles übertreffenden Erkenntnis
Jesu Christi, meines Herren. Um seinetwillen habe ich alles für Unrat erachtet,
um Christus zu gewinnen.“ Ich kann nur bestätigen, was einer der
bedeutendsten Kenner des höherenGnadenlebens
unserer Zeit geschrieben: „Die Zukunft gehört den Menschen der Gnade, der
Mystik.“
Dieser
Drang nach dem Gebet ist an und für sich das Gottesgeschenk eines jeden
Menschen, der sich dem eucharistischen Herrn nähert. Denn der göttliche
Meister wies seine verbohrten Gegner auf jenes geheimnisvolle Gesetz hin, dass
niemand zu ihm, dem eucharistischen Heiland, komme, wenn ihn nicht der Vater
selbst ziehe. Woran liegt es denn, dass im Grunde doch nur wenige Menschen zu
dieser Schau in die eucharistischen Geheimnisse kommen? Die hl. Theresia, die größte
Seherin der Neuzeit, hat es klar gesagt und Franz von Sales, der Kirchenlehrer,
hat es bestätigt: Nicht an Gott liegt es, sondern an uns. Die Sonne herrlicher
Gotteserkenntnis strahl, nur möchte der Mensch weiter schlafen – und öffnet
nicht sein Auge oder er möchte weiter im Schmutz und Sand herumwühlen – und
hat kein Interesse für die geheimnisvolle Sternenwelt der Gottesgnade. Wer die
Weisheit dieses inneren göttlichen Lichtes erhalten will, erhält sie. Denn
Jakobus, der tief in das sakramentale Leben de Evangeliums geschaut, schreibt es
mit fester Hand: „Wenn es einen von euch an der Weisheit gebricht, so erbitte
er sie von Gott, der allen reichlich gibt und nichts vorenthält, - und sie wird
ihm gegeben werden. Er bitte aber im Glauben und zweifle nicht.“
Reichtum des Inneren -
Doch die erste Gnade wird stets die Reinigung des Seelenauges sein, die
gar oft schmerzlich ist.Denn nur
wer reinen Herzens ist, wird Gott schauen. Und wäre die ungeordnete Anhänglichkeit
an das Geschaffene, die Verunreinigung der Seele so klein wie ein Sandkorn oder
ein Rußteilchen, - das Auge wird nicht sehenkönnen, es beginnt zu tränen, sodass alles sich verwischt.
Die
zweite Gnade, die Gott einem solchen Beter gibt, ist das Wunderlicht der Liebe.
Es ist kein Zufall, dass gerade Johannes, der Jünger der mystischen Schau des göttlichen
Herzens, uns den Satz hinterlassen hat: „Wer nicht liebt, erkennt Gott
nicht.“ Ihm sollte es ein Großer der Erden nachsprechen: „Wär’ mein
Aug’ nicht sonnenhaft, wie würde es die Sonne schauen.“ Nur wer wahrhaft
das Gesetz der Liebe erfasst, die einzig in der Erfüllung des göttlichen
Willens, in der Beobachtung der Gebote und der Räte des Herrn besteht, erkennt
in sich eine neue Welt und entdeckt zu seinem größten Erstaunen, dass jenes
Wort des scheidenden Heilands doch Wirklichkeit geworden ist: „An jenem Tage
werdet ihr erkennen, dass ich in euch bin und ihr in mir seid.“
Diese
Zauberwelt des Gnadenlebens ist eine Welt ganz eigener Art. Sie hat ihre eigenen
Gesetze und Kräfte, ihre eigenen Überraschungen und Leiden. Die Menschen
dieser Innenwelt scheinen dem Wechselspiel natürlicher Kräfte und Triebe entrückt
zu sein. Ohne ein Wort der Klage ertragen sie bitteren Hunger, aber mit dem
Aufgebot ihrer letzten Kraft schleppen sie sich hin zum eucharistischen Tisch.
Monatelang tragen sie die Einsamkeit einer Gefängniszelle, ohne das geringste
Zeichen eines Verlangens nach Freiheit. Aber sie schreien auf mit dem
Gekreuzigten, wenn ihre Seele die Einsamkeit der Gottesverlassenheit spürt.
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wirkt nach außen
Und
doch greifen sie mächtig in das Leben dieser Welt ein, wie die Seele, die auch
nicht von dieser erdgebundenen Materie stammt, in das Leben des Leibes mit
souveräner Gewalt eingreift. Nicht vergebens haben alle Kirchenhistoriker auf
die eigenartige Tatsache den Nachdruck gelegt: dass diese Menschen der
vollendeten Gnade und des gottschauenden Betens die größten Werke der Kirche
geschaffen haben. Wir brauchen nicht auf den hl. Paulus als Kronzeugen zurückzugreifen,
der von sich selbst sagen konnte: Ich habe mehr gearbeitet als alle Apostel;“
auch nicht auf Franz Xaver, Theresia und Franz von Sales. Die Priester der
Bannmeile von Paris, deren Leben und Beten der katholischen Welt vorgelegt
wurde, redet eine deutliche Sprache. Wer hat nicht erlebt, dass das stille
Heldentum des Alltags nur einem betenden, Gott besitzenden Menschen möglich
ist.
Einheit im Tiefsten
Und doch – so groß die Macht dieses Betens um Erkenntnis der
Geheimnisse Gottes sein mag, so verlockend die Speise und so süß die Wonne
ist, die der Herr durch das Gebet uns reicht, - die Vollendung des Gnadenlebens
ist es nicht, es ist nicht der stärkste Grad der Gottesgemeinschaft, die uns
auf Erden geboten werden kann. Größer und herrlicher ist jene Gemeinschaft, wo
Herz an Herz, Wille an Wille sich schmiegt. Es ist nicht das Beten um Gottes
Geheimnisse, sondern nur um Gottes Willen. Der Mensch lernt dann jedes Wort
verstehen, das der göttliche Meister als schönste Offenbarung der Innenwelt
seines Herzens hinterlassen hat: „Der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm
alles, was er selbst tut.... Dann was der Vater tut, tut auf gleiche Weise der
Sohn.“ Dies ist das tiefste Geheimnis dieser Menschen: Sie handeln nur nach
dem Lichte des göttlichen Willens, sodass jedes ihrer Werke, jede ihrer Taten,
ja selbst jeder ihrer Gedanken geboren ist aus diesem Lichte.
In
solchen Menschen leuchtet ein Stück Christusleben und Christuswirklichkeit. Sie
denken und wollen Christus, sie lieben und schaffen wie Christus, sie verzeihen
und leiden wie Christus. Sie sind so erfasst von der Schönheit, Macht und
Weisheit des göttlichen Willens, dass sie nur um das eine bitten: diesen Willen
stets erkennen und verwirklichen zu dürfen. Noch immer beuge ich mich vor einer
leidgeprüften Witwe, die ich auf einem Feldwege bei einem Handkarren traf, die
nur das eine Gebet kannte, aus dem sie täglich ihre Kraft schöpft: „dass
dein heiliger, allweiser, allgütiger und allmächtiger Wille an mir in Erfüllung
gehe: ich bitte dich, erhöre mich.“
Gibt
es ein christlicheres Gebet als zu bitten, dass nur Gott geehrt, nur sein Wille
erfüllt, nur seine Liebe erkannt und geliebt werde, mag das eigene Wünschen
und Wollen auch unbeachtet bleiben?
Jedes
Beten um Schau in die geheimnisvolle Welt Gottes ist Täuschung und dem Irrtum
unterworfen, aber dieses Beten ist stets frei von der Gefahr, dass der Mensch
seinem eigenen Licht und seinem eigenen Wollen folgte. Diese Menschen trotzen
jedem Sturm und meistern jede Situation, da in allem Gott ihnen seinen Plan und
seinen Willen aufdeckt. Solchen Menschen allein schenkt der göttliche Meister
den Vollbesitz seiner Gegenwart, in ihnen wohnt er mit dem Vater und Geist und
offenbart ihnen die mitreißende Schönheit und durchdringende Klarheit, die
lodernde Glut und die stets helfende Liebe seines Herzens.
Nur
ein Herz fand der göttliche Meister, dem er jedes seiner Geheimnisse
anvertrauen konnte, sodass keines unbeachtet verloren ging: Das unbefleckte Herz
seiner Mutter, das alle Worte Jesu bewahrte und überdachte. Seitdem sie sich
die Magd des Herrn genannt, an der nach Gottes Wort und Willen geschehen möge,
wurde ihr das fleischgewordene Wort für immer anvertraut, nicht nur als
Weihnachtsgeheimnis, sondern auch als Licht der Oster- und Pfingstgnade. Um das
große Wunder der Hochzeit von Kana zu vollziehen, hat sie nur das eine Wort für
die Diener: „Was er zu euch sagt, das tut!“ So weist sie uns den Weg, um
selbst im farblosen Alltag den perlenden Wein gottinnigen Lebens zu schöpfen:
stets in demutsvoller Liebe hinzuhorchenauf
das Wort, das er als seinen Willen uns kündet, - und es zu tun in Treue und
Beharrlichkeit.
Der Aufsatz von Pater Hubert Pauels erschien in der
Zeitschrift „Licht“ in der Nummer 12 im Jahre 1948 und wurde für das
Internet abgeschrieben.
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